Walter Benjamin Kolleg

Archiv

Der lateinische Flavius Josephus in seiner christlichen und jüdischen Rezeption

Es ist längst bekannt, welche bedeutende Rolle das Werk des jüdischen Historiographen Flavius Josephus in Spätantike und Mittelalter für das christliche Geschichtsbild und den ‚Führungsanspruch’ der Christen unter den Religionen spielte. Unabhängig von der ursprünglichen Intention seines Autors erfuhr es über die Jahrhunderte hin im historiographischen wie theologischen Schrifttum und auch in der Erbauungsliteratur eine ‚interpretatio christiana’, in der der Jude Josephus zum Kronzeugen für den Triumph des Christentums über das Judentum wurde. Ganz zu schweigen von der Nutzung seiner Werke als Informationsquelle und Hilfsmittel zum Bibelstudium. Auf jüdischer Seite setzte die Rezeption des Josephus sehr viel später, erst im 10. Jh., mit dem dann aber äusserst erfolgreichen Josippon ein.

Die Rezeption erfolgte im jüdischen wie christlichen Abendland gut 1000 Jahre lang über die in der Spätantike entstandenen lateinischen Übersetzungen insbesondere der beiden Hauptwerke, des Bellum Iudaicum und der Antiquitates Iudaicae, sowie über die ebenfalls spätantike Bearbeitung des Bellum durch Ps.-Hegesippus. Während letzterer in einer kritischen Edition vorliegt, ist man für die lateinischen Übersetzungen nach wie vor auf Drucke des 16. Jh. angewiesen oder auf die extrem reiche handschriftliche Tradition (ca. 250 an der Zahl), deren Aufarbeitung erst in den letzten Jahren in Angriff genommen wurde.

Ziel des geplanten Projektes ist es, die jüdische wie christliche Rezeption des Josephus anhand dreier miteinander verknüpfter Studien exemplarisch zu beleuchten:

Teilprojekt 1 untersucht Benutzerspuren (Marginalien, Besitzereinträge, Schlussschriften, ...), benutzerorientiertes Layout und Paratexte in Handschriften des Josephus Latinus und versucht, daraus auf bestimmte Rezeptionsinteressen und bestimmte Benutzer(kreise) zu schliessen. Im Sinne der Kohärenz des Gemeinschaftsunternehmens haben dabei solche Handschriften Priorität, die für die beiden anderen Teilprojekte eine Rolle gespielt haben können (sei es als Vorlage oder zur Dokumentation des intellektuellen Klimas, in dem die dort behandelten Werke entstanden sind.)

Teilprojekt 2 widmet sich dem im 10. Jh. in Süditalien entstandenen Josippon, zu dessen Hauptquellen der Ps.-Hegesippus und Passagen aus den Antiquitates Iudaicae zählen. Das Werk belegt mithin eine jüdische Rezeption christlicher bzw. ‚christianisierter’  Literatur in lateinischer (vielleicht auch in griechischer) Sprache – ein Austauschprozess, der für diesen Raum in dieser Zeit bisher noch wenig erforscht ist und nun auf einer breiteren Grundlage untersucht werden soll.

Teilprojekt 3 nimmt die Rezeption des Josephus Latinus vergleichend in zwei Werken in den Blick, die demselben historischen Kontext und intellektuellen Milieu, der Schule von St. Victor, entstammen, aber unterschiedliche Literaturgattungen repräsentieren. Es soll untersucht werden, in welchem Ausmass, auf welche Weise und mit welchen Intentionen Petrus Comestor in seiner Historia scholastica und Wilhelm von Tyrus in seiner Kreuzzugschronik, beide in den 1160er Jahren in Paris verfasst, auf den lateinischen Josephus zurückgreifen, der bekanntlich für die Bibelexegese der Victoriner eine wichtige Quelle darstellte.

Kontakt:

Prof. Dr. Gerlinde Huber-Rebenich

Selbst ein Grenzgänger zwischen den Welten, bietet sich der Historiograph Flavius Josephus (37/38 – ca. 100) als Gegenstand eines interdisziplinären Forschungsprojektes geradezu an: Er verbindet in Name, Werk und Wirken Jüdisches mit Römisch-Hellenistischem und wird seit der Spätantike von christlicher, im Mittelalter auch von jüdischer Seite intensiv rezipiert. Seit langem besteht Konsens darüber, dass insbesondere die beiden Hauptwerke des Josephus, der Jüdische Krieg (JK) und die Jüdischen Altertümer (JA), als wichtige Quellen für die biblische Geschichte und die Zeit des Zweiten Tempels sowie für die Topographie des Heiligen Landes galten. Zudem liess sich Josephus als Kronzeuge für den Triumph des Christentums über das Judentum heranziehen: Gibt er doch im JKdie Schuld an der Zerstörung des Jerusalemer Tempels nicht den Römern, sondern rivalisierenden jüdischen Gruppierungen.

Die mittelalterliche Josephus-Rezeption verlief im Westen weitestgehend über die in der Spätantike entstandenen lateinischen Übersetzungen seiner beiden Hauptwerke und den ebenfalls spätantiken Ps.-Hegesippus, eine christianisierende Adaptation des JK (kollektiv: Josephus Latinus). Von der Bedeutung dieser Werke zeugt die schiere Fülle der erhaltenen Handschriften (knapp 300), die bis heute die Erarbeitung einer kritischen Edition dieses einflussreichen Textes verhindert hat. Auf jüdischer Seite setzte die Rezeption des Josephus erst im 10. Jh., mit dem dann aber äusserst erfolgreichen Volksbuch des Yosipponein, das ebenfalls auf dem lateinischen Josephus aufbaut.

Obwohl die Josephus-Forschung insgesamt eine unüberschaubare Fülle von Literatur hervorgebracht hat, herrscht doch die einhellige Meinung, dass gerade im Bereich der Rezeptionsforschung noch viel zu tun ist. Das hier angezeigte Projekt will einen Beitrag zur Schliessung dieser Lücke leisten, indem es die christliche wie jüdische Rezeption des Josephus exemplarisch anhand dreier miteinander verknüpfter Studien in den Blick nimmt:

Das philologische Teilprojekt untersucht Spuren der Rezeptionslenkung (Layout, Paratexte, …) und Spuren der Benutzung (Glossen, Markierungen, ...) in lateinischen Josephus-Handschriften und versucht, daraus auf bestimmte Rezeptionsinteressen und Benutzer(kreise) zu schliessen. Auch der Frage nach der ursprünglichen Provenienz und nach späteren Standorten, an denen mit den Manuskripten gearbeitet wurde, soll zur historischen, geistes-/ religions- / und bildungsgeschichtlichen Kontextualisierung nachgegangen werden. 

Das judaistische Teilprojekt widmet sich dem im 10. Jh. in Süditalien entstandenen hebräischen Yosippon, zu dessen Hauptquellen der Ps.-Hegesippus und Passagen aus den JA zählen. Das Werk belegt mithin eine jüdische Rezeption christlicher bzw. christianisierter Literatur in lateinischer Sprache – einen Austauschprozess, der für diesen Raum in dieser Zeit bisher noch wenig erforscht ist. Ausgehend vom Yosipponsoll untersucht werden, welche Rolle das Lateinische und das Hebräische für das jüdische Italien des 10. Jh. gespielt hat.

Das christentumsgeschichtliche Teilprojekt  nimmt die Rezeption des Josephus Latinusvergleichend in zwei historiographischen Werken des 12. Jh. in den Blick, die demselben historischen Kontext und intellektuellen Milieu entstammen, nämlich der Schule von St. Victor in Paris, in der die Schriften des Josephus ein wichtiges Referenzwerk darstellten, aber auch kritisch diskutiert wurden. Es soll untersucht werden, wie Petrus Comestor in seinem biblischen Lehrbuch der Weltgeschichte, der Historia scholastica, und Wilhelm von Tyrus in seiner Kreuzzugschronik, der sog. Historia rerum in partibus transmarinis gestarum, auf den lateinischen Josephus zurückgreifen, wie sie ihn verstehen und verwerten, welche Funktion das aus ihm geschöpfte Wissen im neuen Kontext erfüllt und welchen Josephus die beiden Autoren für ihre Leserschaft kreieren.

Insgesamt geht es um eine paradigmatische Studie zu verschiedenen Lesarten, denen ein Text unterzogen werden kann, der sich unter wechselnden Rahmenbedingungen und Machtverhältnissen für verschiedene Interessengruppen fruchtbar machen lässt.

Das Projekt wird ab April 2019 vom Schweizer Nationalfonds unter dem Titel “Lege Iosephum!” Ways of Reading Josephus in the Latin Middle Ages gefördert.

Projektgruppe:

Prof. Dr. Katharina Heyden (Theologie, Bern)
Prof. Dr. Gerlinde Huber-Rebenich (Klassische Philologie, Bern)
Prof. Dr. René Bloch (Judaistik, Bern)

Kontakt:

Prof. Dr. Gerlinde Huber-Rebenich

Workshop DH-Medien in der Rezeptionsforschung. Zum Berner 'Josephus Latinus-Projekt'

Datum: 17. März 2017, 9.00-13.00 Uhr
Raum: Unitobler, Lerchenweg, F-112

Experten:

Prof. Dr. David Hamidovic (Institut romand des sciences bibliques, Lausanne)
Dr.-Ing. Michael Piotrowski (Sections des sciences du langage et de l'information, Lausanne)
Prof. Dr. Lukas Rosenthaler (Digital Humanities Lab, Basel)
via Skype: Prof. Dr. Daniel Stökl (EPHE, Sciences historiques et philologoques, Paris)

Projektgruppe:

Prof. Dr. Katharina Heyden (Theologie, Bern)
Dr. Sophie Caflisch (Theologie, Bern)
Prof. Dr. Gerlinde Huber-Rebenich (Klassische Philologie, Bern)
Dr. Anthony Ellis (Klassische Philologie, Bern)
Prof. Dr. René Bloch (Judaistik, Bern)

Fragestellungen: 

  • retrievalfähige Verwaltung von Paratexten / Benutzerspuren in Handschriften mit Bezug auf einen nicht standardisierten Referenztext
  • Software zum Textvergleich 'Quelle / (freies) Zitat'

 

Workshop Flavius Josephus in Antike und Mittelalter

Datum: 3. November 2017, 9.00-13.00 Uhr
Raum: Unitobler, Raum F013 (Lerchenweg 36, 3012 Bern) 
Programm: Workshop Flavius Josephus 3.11.2017 (PDF, 1.3 MB)